Uwe Johnson, der erst in Rostock, dann in Leipzig Germanistik studiert hat, ging 1959 nach Westberlin. Schnell handelte er sich 1962 das Etikett »Dichter beider Deutschland« ein. Dieses Markenzeichen nutzte der West-Berliner Tagesspiegel 1964, um Johnson einzuladen, täglich das Programm des DDR-Fernsehens zu rezensieren. Das wurde zu dieser Zeit in westdeutschen Zeitungen nicht abgedruckt. Der Tagesspiegel begann damit - und Johnson half dabei. Zwischen dem 4. Juni und 3. Dezember schrieb er 99 Besprechungen über DDR-Sendungen, die ein oder zwei Tage später erschienen: von der Magazin-Sendung »Prisma«, die von alltäglichen Schwierigkeiten in der DDR berichtete, über die politische Propaganda in der Sendung »Der schwarze Kanal« bis hin zur Puppenfigur des »Sandmännchens« - Sendungen, die seine Leser sehr wahrscheinlich nicht gesehen haben. Und wer sie gesehen hat, konnte die Rezensionen sicher nicht lesen. Johnsons tägliche Dosis Vergeblichkeit funktionierte wie Flaschenpost: Die Nachrichten mussten knapp sein und den Ort des Absenders möglichst präzise benennen. Inzwischen ist der unwahrscheinlichste aller Fälle eingetreten: Alle Zettel sind aus den Flaschen und bilden einen historischen Roman, der von Notwehr und Hoffnung handelte. - Das könnte auch ein Roman aus unseren Tagen sein.
Holger Helbig, Herausgeber der großen Uwe Johnson-Werkausgabe (Rostocker Ausgabe), in der der »5. Kanal« gerade reichhaltig kommentiert neu erschienen ist, stellt die Rezensionen sowie ihr Zustandekommen vor.
Eintritt frei ǀ Veranstaltung in Kooperation mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und der Evangelischen Akademie Sachsen